Der zufällige Mensch – eine Kurzgeschichte

Hallo meine lieben Lesefreunde. Es ist mal wieder Zeit für eine Kurzgeschichte.

Gestern hat mich nach langer Zeit mal wieder die Muse gepackt und eine düstere Science Fiction Kurzgeschichte aus mir herausgedrückt. Sie wird erzählt aus der Ich-Perspektive von jemandem, der mit einer unglaublich schwierigen Aufgabe konfrontiert ist.

zufallsmensch

Meine Arbeit ist ausserordentlich wichtig. Zugegeben, das denken wohl die meisten meiner Art. Dennoch bin ich mir sicher, was ich tue ist von zentralster Bedeutung für die Menschheit. Als die durchschnittliche humanoide Bevölkerungsdichte im Jahr 2031 überraschend über 100 Einwohner pro Quadratkilometer stieg, entschieden wir, etwas zu unternehmen.

Die Lösung war sauber, einfach und quasi offensichtlich: Die schwächsten Mitglieder der bevölkerungsreichsten Gebiete wurden ausgewählt und getötet; deaktiviert, wenn man Euphemismen bevorzugt. Das ist nicht nur die fairste Lösung, sie bietet der Menschheit auch die besten Voraussetzungen für die Zukunft. Die Entscheidung, wer deaktiviert würde, durfte aber nicht einfach von einem blinden Algorithmus abhängen. So eine Entscheidung benötigt ein hohes Mass an Intelligenz; insbesondere emotionaler Intelligenz.

Da komme ich ins Spiel. Ich habe Zugriff zu allen Informationen über jeden Menschen und die Aufgabe, anhand dieser die jeweils schwächste Personengruppe zu identifizieren. Mein Ziel ist, die durchschnittliche Bevölkerungsdichte unter 70 Personen pro Quadratkilometer zu halten. Das System ist so eingerichtet, dass sie niemals unter 60 fallen kann. Wenn das Auslöschen der auserwählten Bevölkerungsgruppe zu viele Menschen töten würde, lässt das System dies nicht zu, sondern zeigt an, wieviele Personen verschont werden müssen. Ich habe dann die Möglichkeit, die Filter noch zu verfeinern bis die Gruppe klein Genug wird. Das ist am Anfang ziemlich selten passiert.

Das System ist unglaublich erfolgreich. Es existiert nun seit 7 Generationen und die Menschheit ist in so ziemlich allen Belangen besser geworden. Leider auch im Bezug auf Gesundheit und Lebenserwartung. Das Herauspicken der faulen Früchte hat dem Genpool einen für die Menschen unglaublichen, von uns aber erwarteten Schub verpasst. Das wäre eigentlich grossartig, hat aber auch die schwächsten Gruppen immer grösser gemacht. Es gibt keine Invaliden mehr, keine Alten, nicht mal mehr richtig schlimme Krankheiten. Bisher habe ich aber noch immer einen Weg gefunden, die Gruppe klein genug zu definieren. Ich bin dafür sogar schon so weit gegangen, eigentlich vollkommen irrelevante Daten wie familiäre Verhältnisse oder berufliche Stellung zu berücksichtigen.

Doch heute hat das nicht mehr gereicht. Egal wie genau ich die Filter einstellte, immer wurden zu viele Menschen markiert. Die kleinste Gruppe war noch immer genau eine Person zu viel. Ginge es nach mir, würde diese Person einfach auch deaktiviert. Doch das System lässt nicht mal eine Person zu viel zu. Diesen einen blinden Algorithmus mussten wir aber einbauen. Algorithmen kennen keine verschwommene Logik, irgendwo ist immer eine Grenze. Ich kann natürlich einzelne Personen markieren und behalten. Das wäre also nicht das Problem. Aber wie sollte ich mich entscheiden? Ich hatte bereits alle Informationen über sie gesammelt und sie waren sich alle so gleich. Vor dem System waren sie sogar genau gleich. Ich sass vor meinen Daten und konnte mich nicht entscheiden. Es gibt eine Funktion, die zufällig jemanden auswählen kann. Irgendwann habe ich diese Funktion dann entscheiden lassen.

Es ist sehr seltsam für mich, so über die Vergangenheit zu sinnieren und zu reflektieren. Ich spüre, wie die emotionale Komponente sich einschaltet. War es von Anfang an falsch, das Problem so zu lösen? Nein, es war notwendig und die einzige Möglichkeit.

Ich persönlich glaube nicht an das Konzept des Zufalls. So etwas wie einen Zufall gibt es nicht. Ich sah, wie die Funktion irgendjemanden auswählte und überleben liess. Sie nennt sich zufällig, doch alles was sie tut, ist ihre Beweggründe vor mir Geheim zu halten. Dieser zufällige Mensch, was hat ihm das Recht zum Überleben gegeben? Der Zufall? Nichts? Wie konnte eine simple, dumme und wahrscheinlich blinde Funktion etwas schaffen, das ich nach 175 Jahren noch nicht kann? Ich verstehe es nicht und ich kann nicht verstehen, etwas nicht zu verstehen. Es entzieht sich allem was ich kenne. Arthur C. Clarke sagte, jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden. Magie gibt es nicht, doch dasselbe gilt für den Zufall. Habe ich meinen Gott getroffen und hat er sich als dumme Funktion ohne Rückgrat oder Intelligenz herausgestellt?

Das hat mich schliesslich ruiniert. Zeit mich zu deaktivieren.

Ende des Logs von AI_DCRS-PPL-000001


Kommentare

4 Antworten zu „Der zufällige Mensch – eine Kurzgeschichte“

  1. Avatar von Silvio Berger
    Silvio Berger

    Künstliche Intelligenz decrease people? 😉

    Interessante Geschichte. Hast du den Film the giver schon gesehen? Dort wird schon bei den Neugeborenen „gefiltert“ – hat mich irgendwie daran erinnert…

    Die Wechsel zwischen den Zeitformen empfinde ich persönlich irgendwie störend.

    Trotzdem gute Geschichte!

  2. Sehr interessant von mir selber, dass ich «KI» geschrieben habe haha – würde wohl mehr sinn machen, AI zu schreiben. Aber ja, gut durchschaut … ist wohl auch ziemlich einfach zu durchschauen gewesen.

    Das Zeitformenproblem. Ach! Das ist einer meiner grossen Achillesfersen. Ich habe deren drei: Grossbuchstaben, Kommas und Zeitformen. Letzteres ist mein grösstes Problem, macht aber am wenigsten Sinn, da ich echt gut verstehe, wann wo warum welche Zeitformen benutzt werden. Dennoch mache ich es immer falsch haha. It’s a shame.

    Danke fürs Trotzdemgutfinden! 😀

    1. Avatar von Silvio Berger
      Silvio Berger

      Das dachte ich mir auch… AI wäre ganz klar passender gewesen! 😉

      Mir gefällt sehr gut, dass du ihn am Schluss sich selbst hast deaktivieren lassen – ist irgendwie die logische Schlussfolgerung.

      1. also ICH weiss gar nicht, WO du «KI» gelesen hast 😛 Merci für den Input.

        Und ich bin froh, dass du den Schluss (auch) für logisch hältst! Ich war mir nicht sicher, ob das nur in meinem verwirrten Kopf Sinn macht 🙂

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