Wo immer man in der heutigen Zeit auf Rumpelstilzchen trifft, wird er als Bösewicht dargestellt. Aber was, wenn ich euch sage, dass ihr alle dieses Märchen falsch verstanden habt?
Hier zum Auffrischen eine Zusammenfassung der Geschichte mit dem Rumpelstilzchen:
Die Heldin unserer Geschichte, eine Müllerstochter, wird vom König in einen Turm mit Stroh gesperrt. Warum? Weil ihr Vater, der «Müller», behauptet hat, sie könne Stroh zu Gold spinnen. Warum er das gesagt hat? Natürlich weil er seine Tochter mit dem König verheiraten will. Der König glaubte dem Müller natürlich nicht und befahl, sie müsse es beweisen und über Nacht das Stroh im Turm in Gold verwandeln. Wenn sie es nicht schafft, muss sie sterben. Die Heldin ist natürlich verzweifelt, da kommt ein kleines Männchen und verwandelt für sie das Stroh zu Gold. Sie gibt ihm dafür ihr Halsband. Der König ist aber offenbar noch nicht beeindruckt, steckt sie am nächsten Abend wieder in den Turm und erwartet dasselbe erneut. Das Männchen kommt wieder und zaubert gleich wie am Tag zuvor. Dieses Mal für einen Ring. Nächster Tag, gleiches Spiel. Dieses Mal möchte das Männchen das Recht auf das Erstgeborene. Die Tochter willigt auch dies ein. Endlich möchte der König sie heiraten und irgendwann wird sie Schwanger. Nach der Geburt kommt das Männlein und fordert seinen Preis ein. Die Königsehefrau, geborene Müllerstochter, ist erneut verzweifelt. Das Männlein hat Mitleid und sagt: Wenn sie innert 3 Tagen seinen Namen erraten kann, dürfe sie das Kind behalten. Am ersten Tag versucht sie alle Namen die sie kennt, am zweiten alle die ihre Diener kennen. Doch keiner stimmt. Natürlich ist sie wieder verzweifelt. Da kommt irgendeine Person und erzählt ihr, dass sie im Wald ein Männchen hätte singen hören: «Morgen gehört mir das Königskind, ich heisse übrigens Rumpelstilzchen, lalala» (naja, so ungefähr, in Reimform halt und womöglich etwas eloquenter). Das Männlein kommt wieder und die Königin errät schliesslich seinen Namen. Da gheit es voll überen, zerreist sich in der Luft und sagt «Das hat dir der Teufel gesagt!».
Nun lasst uns das mal analysieren. Wir haben 3 menschliche Protagonisten und einen übernatürlichen Bösewichten. Dass der König und der Müller schreckliche Personen sind, ist offensichtlich. Der eine lügt über seine Tochter in der Hoffnung bald ausgesorgt zu haben. Ja, womöglich hat er es auch für sie getan. aber das glaube ich eigentlich nicht. Der andere droht mit dem Tod sollte eine offensichtliche Lüge sich als Lüge herausstellen. Vor allem droht er natürlich der Tochter des Müllers und nicht dem Müller selber. Warum auch? Es wäre ja die Tochter, die zu dumm ist, aus Stroh Gold zu spinnen. Natürlich reicht es nicht, die Fähigkeit einmal zu beweisen. Nein, die Tochter wird gezwungen, es drei Mal zu tun. DANACH muss sie es aber ganz offensichtlich nie wieder tun. Gut für Müller und Tochter. Aber was für ein König ist denn das? Hat sie in den drei Tagen wirklich schon genug Gold FÜR IMMER erschaffen? Womöglich hat der König auch erkannt, dass Gold spinnen gar nicht so eine tolle Fähigkeit ist.
Kommen wir zur Tochter. Generell wird sie als Heldin der Geschichte gehandelt. Aber ich sehe sie am ehesten als Opfer königlicher und patriarchaler Willkür. Konfrontiert mit der unlösbaren Situation ist sie verständlicherweise gelähmt. Doch als auf einmal ein magisches Männlein bei ihr erscheint und seine Hilfe anbietet, bittet sie nicht um Freiheit. Wehklagt nicht darüber, dass sie quasi verkauft und danach eingesperrt wurde. Nein, sie möchte der Lüge des Vaters und dem Wunsch des Königs nachkommen und das Stroh in Gold verwandelt sehen. Sie ist bereit dem Männlein dafür ein Kettchen und einen Ring zu geben. Für den gleichen Preis hätte sie das Männlein bestimmt auch in die Freiheit geführt.
Das Männlein also. Es wird irgendwie auf die Tochter aufmerksam. Wahrscheinlich hört es ihr Schluchzen. Es erscheint ihr und bietet seine Hilfe zu einem kleinen Preis an. Offenbar ein symbolischer Preis. Um Reichtum kann es ihm nämlich nicht gehen. Es kann ja selber Stroh zu Gold spinnen. Es denkt, dass die Sache damit erledigt ist, hört das Schluchzen aber wieder und wieder. Beim dritten Mal verlangt es nach dem Baby der Tochter. Das mag harsch klingen, aber wenn es kein Mensch ist, sondern diese eher verspeist, ist das in seinen Augen ein ebenso kleiner Preis. Womöglich hat es als vielleicht unsterbliches, magisches Wesen gar kein Verständnis von Nachwuchs. Als es dann seinen Preis einfordert, möchte die Tochter nicht bezahlen. Anstatt wie ein richtiger Bösewicht jedoch einfach darauf zu bestehen, gibt es der Tochter sogar die Chance, seinen Namen zu erraten. Zugegeben, Rumpelstilzchen ist ein sehr exotischer Name – aber wie man am Ende der Geschichte ja herausfindet, doch erratbar.
Wer ist also der eigentliche Held? Ich tendiere zum Stilzchen. Obwohl seine Handlungen auch etwas fragwürdig sind. Im Gegensatz zu allen anderen ist es stets total ehrlich und offensichtlich auch hilfsbereit. Klar, es möchte wahrscheinlich Kinder fressen aber wir können nicht unsere weltlichen Ethikschemata auf übernatürliche Wesen anwenden. Es gibt der Tochter ja sogar die Chance, aus dem Vertrag herauszukommen, wenn sie seinen Namen errät. Das ist total nett. Kaum eine heutige Firma würde auf diesen Deal eingehen. Ja, wahrscheinlich ging das Rumpelstilzchen davon aus, dass die Tochter den Namen nicht erraten wird. Deshalb hat es ja auch getanzt und sich zu früh gefreut. Aber ich freue mich auch jedes Monatsende auf den Lohn bevor er wirklich auf meinem Konto ist.
Das Rumpelstilzchen ist eigentlich eine gute Fee. Seine Dienste sind einfach nicht kostenlos aber schon günstig. Wenn man bedenkt, dass die Tochter nur hätte klug genug sein müssen. Sie hatte zwei Chancen sich etwas Sinnvolles zu wünschen.
Ich finde das Rumpelstilzchen sollte rehabilitiert werden.
Cheers,
Pfoffie
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