Eine Kurzstudie von Pfoff Renesson
Abbriss:
Communities, Chats, Blogs… Es scheint kein Ende zu nehmen. Man wird süchtig nach online games, süchtig
Netzhibitionisten leben länger
Eine Kurzstudie von Pfoff Renesson
1. Wenn die Identität geklont wird
Es gibt sie zu tausenden: Onlinecommunities. Seien es nun Blognetzwerke, Foren oder soziale Netzwerke. Man hat das Gefühl, sie sprössen stündlich aus dem Nichts des Web’s. Myspace, Netlog, StudiVZ, WordPress, Facebook, Xobox… die Liste scheint unendlich. Jedes dieser Netzwerke preist sich selbst natürlich als das Fortschrittlichste, das Grösste und Beste an.
In dieser Flut fürchten die semilabilen Netz-süchtigen zu ertrinken und halten sich über Wasser, indem sie immer neue Profile an immer neuen Orten erstellen. Portal um Portal klonen sie ihre Identität. Treffen Klone ihrer Freunde von anderen Portalen. Tauschen Credits, Bilder, Freunde und Gruschels aus. Und ersetzen immer mehr die physisch-sozialen Aktivitäten durch die logisch-sozialen Aktivitäten in den Webcommunities.
2. Die Wahrnehmung der Realität wird verändert
Der Verlust, die Verlagerung der sozialen Aktivitäten hat auch eine korelierende Verlagerung des Lebens zur Folge. Der Computer beziehungsweise die Community ersetzen die Natur, die Nahrung, die Liebe, das physische Leben an sich. Es wird zur Qual, am Morgen zur Arbeit zu gehen. Zur Qual sich mit Freunden zu treffen. Zur Qual, offline zu sein.
Dies bezieht sich nicht nur auf Onlinegames wie World of Warcraft oder SecondLife. Auch die ganz normalen Communities bergen den Suchtfaktor. Süchtige Blogleser oder Chatter sind weniger selten, als man denken möchte.
E-Mail Sucht, Community-Sucht, Blog-Sucht. Es wird zur Qual, seine E-Mails nicht zu checken, keine Gruschels zu erhalten oder keine verschicken zu können.
Einer der wichtigsten Punkte im Leben wird die Sucht danach, einfach nur online zu sein. Während der Arbeit werden alle möglichen Communities im Hintergrund geöffnet – Für den Fall, dass etwas wichtiges ist, ist man wenigstens da. Durch die Banalität der Sache, erkennt man viel zu selten (oder zu spät), dass Communities im Hintergrund nicht weit vom „Auf-der-Toilette-Koksen“ entfernt ist.
3. Sucht-Netzhibitionisten
Man hat Freunde, die man eigentlich nicht kennt, aber weiss, wie sie aussehen, was sie mögen, was sie nicht mögen, was sie gerade tun, was sie taten, worauf sie im Bett stehen. Man verliert das Verständnis der Definition eines „Freundes“ und beginnt sich langsam aber sicher selbst auszuschütten.
Schneller steht man Nackt da, als man denkt. Man wird im Netz zu einem Buch ohne Siegeln, weil man selbst alles von sich Preisgibt. Dies wird zur inkarnation des Wortes Freund. Je mehr man von sich gegenseitig weiss, um so besser befreundet ist man. Je mehr man schon im Profil öffentlich freigibt, um so mehr Freunde wird man finden.
Man wird zum Netz-Exhibitionisten und zieht dadurch immer mehr Menschen an. Menschen, die auch Netzhibitionisten sind. Dadurch entsteht ein Strudel aus persönlicher Zurschaustellung. Ein Seelenstriptease, welcher nicht selten zum wahren Striptease und bekleidungsarmen Fotos führt.
4. Eine Trennung auf dem Berg
Ohne Punkt, ohne Ziel und ohne Ende wandert man den Berg der Selbstdarstellung herauf. Man erkennt nicht, wie sinnfrei das ganze ist und erwartet bei jedem Stop, bei jeder Neuerung, jeder neuen Community, jedem neuen Chatpartner, die Perfektion, die Erleuchtung. Beide bleiben jedoch jedesmal aus. Man wird jedoch nicht erschüttert. Wie ein guter Christ geht man weiter hinauf und weiss, dass irgendwo die Perfektion und die Erleuchtung wartet.
Wenn man jedoch Glück hat, findet man sich eines schönen Tages auf der Spitze des Berges wieder und trennt sich von seinem netzhibitionistischen Charakter. Man kann, wird und muss ihn weiterhin akzeptieren, pflegen und lieben – Denn er war und wird immer Teil von einem sein, man bekommt aber eine gesunden Abstand dazu und wird von diesem Zeitpunkt abschätzen, wie exhibitionistisch der Netzhibitionist ist.
5. Netzhibitionisten leben länger
Der wichtigste Fakt des ganzen ist der Fakt, dass Netzhibitionisten länger leben. Wobei beim Wort „leben“ die Crux der Sache steht. Denn Netzhibitionisten existieren länger, ob sie leben hängt davon ab, ob sie über den Berg kommen, oder nicht.
Die Frage steht jedoch weiterhin im Raum, warum Netzhibitionisten länger leben.
Die Antwort ist einfach, auch Jahre nach der letzten Onlineminute eines Netzhibitionisten existiert der Netzhibitionist weiterhin im Netz. Er ist im Standby, vielleicht in einer niemals endenden Stasis. Doch seine vorherigen errungenschaften sind weiterhin präsent. Sie schweben durch’s Netz und warten darauf, irgendwann gefunden und erforscht zu werden. Somit kann ein Netzhibitionist auch viele Jahre nach dem Tod seines physischen Egos noch Menschen erreichen und bewegen. Und dieser Fakt kann durchaus ein Kinder-ersatz sein.
Danke
Ein Danke an all die Leute die mich, vorwiegend unbewusst, dazu bewogen haben, diesen Beitrag zu schreiben.
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