Die Planck-Welle – eine Kurzzeitgeschichte

Ich habe mal wieder eine Geschichte über Zeitreisen und θ̠ɔrtn̥ geschrieben.

θ̠ɔrtn̥ kommt aus der Zukunft. Wie gross der Zeitunterschied von seiner zu unserer Zeit ist, weiss er nicht genau. Er ist schlicht zu gross. Erzählte er von sich selbst, würde er erklären, dass er nicht mal von der Erde käme. Da in seiner Zeit die Menschheit tatsächlich über vierhundert Lichtjahre verstreut die Galaxie bevölkern, ist die Chance, dass θ̠ɔrtn̥ auf der Erde gelebt hat wirklich verschwindend klein. Sicher sein kann er aber nicht. Welches die ursprüngliche, erste Erde war, ist schon lange vergessen.

θ̠ɔrtn̥ weiss nicht, wie weit er in Jahren zurückversetzt ist. Er weiss aber, dass die Planck-Welle genau sieben Sekunden bis in seine Zeit zurück braucht und somit paradoxalnahe persönliche Auswirkungen ihn erst 14 Sekunden später treffen. θ̠ɔrtn̥ ist ein sehr erfahrener Zeitreisender. Er hat schon weit mehr als fünfzig Zeitreisen hinter sich. Durch sein Buch über den Verlust des Zeitgefühls «Irgendwann ist immer jetzt» erlangte er sehr hohes Ansehen und wurde Dozent für Zeitreisen an einer namhaften Universität. Er erhielt wirklich viel Zuspruch und ihm wurden Preise verlieren.

«Auf meinen guten, nein besten Freund θ̠ɔrtn̥», wurde ihm ein Toast ausgesprochen, «der uns alle immer wieder mit seinen überraschenden Wahrheiten erstaunt!» θ̠ɔrtn̥ erinnert sich gut an den Applaus an jenem Abend. Er prostete bescheiden zurück. «Zeitreisende sollten nicht aus der Vergangenheit zurückkehren», sprach er in die gebannte, stille Menge, die nach einer Pointe lechzte, «denn die veränderte Gegenwart ist niemals so gut, wie die ehemalige, weil man sich nur an diese erinnert.» Tosender Beifall, Umarmungen und mitten drin θ̠ɔrtn̥, der eigentlich gar nicht verstand, was da passierte.

Das war nach seiner ersten Zeitreise. Er hatte in der Vergangenheit offenbar etwas so gravierend verändert, dass er nun eine Berühmtheit war. Er kannte nicht mal den Namen dieser Person, die ihn seinen besten Freund nannte. Das Credo in der Vergangenheit zu bleiben wurde zum zentralen Bestandteil von θ̠ɔrtn̥s Studiengang. «Egal wie sehr man sein aktuelles Leben hasst. Was auch immer man neues, anderes durch eine Zeitreise erhält, man wird das vorherige vermissen, denn das erste war das einzige Leben, mit dem man wirklich umgehen kann.»

Viele Jahre lang versuchte θ̠ɔrtn̥ nun, sein erstes Leben wieder zu finden. Doch egal was er versuchte, egal was er umstellte, seine Gegenwart wurde nie wieder so wie sie war. Fast jedes Mal veränderte sie sich sogar so stark, dass er kaum mehr etwas wiedererkannte. Das brachte ihn dazu, ein Buch darüber zu schreiben, wie man sich mit der Zeit daran gewöhnt, ohne ein echtes eigenes Leben zu sein. Im Gegensatz zu jenem anderen Buch, hatte er dieses neue bei vollem, eigenen Bewusstsein geschrieben. Im Gegensatz zu jenem anderen Buch war dieses neue ein Flop.

Irgendwann wurde er dann doch zu müde, es weiter zu versuchen und schmiedete einen letzten Plan. Er musste ein Gegenwartsfenster organisieren und dann so weit in die Vergangenheit, wie es sein Budget noch zuliess. Was nun eben diese sieben Sekunden sind. Es macht keinen Sinn zu beschreiben, wie viel er für diese Reise gezahlt hat. Die Währungen in seiner Zeit funktionieren vollkommen anders und aus der heutigen Sicht sehr verwirrend, komplex. Aber einfach ausgedrückt war die Reise etwa drei Mal teurer als das Gegenwartsfenster und für alles zusammen hat er sein komplettes Vermögen aufgebraucht.

«Das ist doch nichts, was man erklären müsste!», schrie θ̠ɔrtn̥ in der einzigen Kindheit die er tatsächlich miterlebt hatte einst seine Lehrerin an. Was Planck-Wellen sind und warum sie jeder Logik wegen existieren MÜSSEN wusste jedes Kind. Es lag so sehr auf der Hand wie ein Blatt, das von der Gravitation auf den Boden gezogen wird. Natürlich war er ein Schüler und wurde deshalb auch von der Lehrerin gezwungen die Erklärung zu rezitieren. «Seit der Erkenntnis, dass die universelle Höchstgeschwindigkeit, also die Geschwindigkeit des Zeitflusses, die Lichtgeschwindigkeit überschreitet und man die Planck-Einheiten angepasst hat, kann man auch berechnen, wie viel Zeit es braucht, bis eine Zeitveränderung aus der Vergangenheit die Gegenwart erreicht», brabbelte er motivationslos vor sich hin.

Heute, in diesem Moment und mit dem Gegenwartsfenster in der Hand, wünscht er sich, sich doch besser mit dieser Materie auseinandergesetzt zu haben. Dass es dieses Fenster nämlich schafft, bereits nach sieben Sekunden zu zeigen, wie sich die Gegenwart nach seinen Aktionen verändert haben wird, entzieht sich vollkommen seinem Verständnis. Bei seiner ersten Zeitreise gab es diese Dinger noch nicht und nach seiner Rückkehr waren sie plötzlich da. Mit jeder seiner Reisen schien die Gegenwart schlimmer zu werden; zumindest für θ̠ɔrtn̥. Für die Leute aus seiner Zeit wurde es immer besser und besser. Das macht die Sache, die er vor hat, noch viel schlimmer, noch viel egoistischer.

So steht er nun in jener Ecke und wartet darauf, dass der Auslöserfunke vorbeifliegt. Dieses Phänomen, das nur alle 4821 Jahre eintritt und für jede Zivilisation die Ära des Zeitraumverständnisses einläutet. Er sieht vor sich, wie der hellglühende Tropfen aus der Wand tritt und löscht ihn sogleich mit nichts weiter als einem Fingerwisch wieder aus. Sieben. Kein Passant wird überrascht anhalten. Sechs. Niemand wird sich fragen, was das ist, niemand wird irgendwas untersuchen. Drei. Deshalb wird auch nie jemand verstehen, was es mit der Zeit und ihrer Geschwindigkeit auf sich hat. Zwei. θ̠ɔrtn̥ blickt auf das Gegenwartsfenster. Eins. Es ist alles so, wie es noch bei seiner Abreise war. Null. Das Gegenwartsfenster zeigt nichts mehr an. θ̠ɔrtn̥ lacht freudig auf. Sieben Sekunden später haben sowohl er als auch Zeitreisen aufgehört zu existieren.

Hallo liebe Lesenden,
Ich möchte mich recht herzlich dafür entschuldigen, dass ich offensichtlich nur ein einziges Interesse habe: Zeitreisen. Aber mir fallen immer wieder neue Fragen und Konzepte dazu ein und deshalb muss ich mich auch immer mal wieder darüber auslassen.

Auf jeden Fall hatte ich mehrere verschiedene Gedanken, die ich in dieser Geschichte zusammenfassen wollte. Zum einen das Konzept, dass man die Gegenwart bei einer Zeitreise für einen selbst immer verschlechtert, weil man sich in der veränderten Umgebung nicht mehr zurecht findet. Andererseits hatte ich plötzlich eine Idee, wie man den Paradoxa entgegenwirken könnte. Wenn es nämlich Zeit braucht, bis Veränderungen wirksam werden – und sei es nur eine Planck-Sekunde – so würde man erst aufhören zu existieren, nachdem man seinen Grossvater getötet hat.

Ich danke fürs Lesen und hoffe es war nicht zu komplexverwirrendsciencefiction.

Habt ein tolles Wochenende, bitte!

Cheers
Pfoffie


Kommentare

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.