«Der normalste Tod» – Teil 3 einer Kurzgeschichte

Die Geschichte geht weiter. Seit Montag erzähle ich euch ja eine fünfteilige Kurzgeschichte. Wir sind schon in der Hälfte bei Teil 3. Der Titel der Geschichte ist «Der normalste Tod» und das heutige Kapitel heisst «14. Februar 2011». Viel Spass!

normtod3

14. Februar 2011

Die Abstände werden grösser. Zuerst 3 Jahre, nun 6 Jahre. Wird der nächste Mordversuch des Todes also erst in neun Jahren kommen? Oder sogar 12? Aber wahrscheinlich ist «Mordversuch» eh das falsche Wort. Schliesslich hat er mich schon zwei Mal vor sich selbst bewahrt. Warum dieser Tod mir nicht wirklich an den Kragen sondern eigentlich mein Leben retten will, habe ich noch nicht gänzlich verstanden.

Heute Morgen, am Valentinstag, tauchte er aber endlich wieder Mal in einem Traum auf. Er stand mitten im Gang und ich konnte nur eines denken: «Wenigstens habe ich doch noch ein Date am Valentinstag!» Meine Gedanken konnte er aber offensichtlich nicht lesen oder er wollte nicht darauf eingehen. Er bewegte sich, die Knochen knackten und klirrten wie Xylophon-Klangstäbe jedes Mal wenn sie gegenseitig auf sich trafen. Aus irgendeinem Grund hielt er die Sense quer hinter seinem Rücken und schüttelte sie wild hin und her. Es war ein abscheuliches Schauspiel und ich verstand zuerst gar nicht, was er da tat. Dann hörte ich seine Stimme.

«Come on Baby!» Er sprach nicht, er sang. «Let’s do the twist!» Er tanzte. Seine Gesangsstimme war verzerrt und sehr unheimlich. Doch ich kann euch stolz mitteilen, dass der Tod mir keine Angst mehr gemacht hat. Ich ging kopfschüttelnd auf ihn zu und beschuldigte ihn salopp, er sei zu ungenau. Gerade als ich aber direkt neben ihm vorbeigehen wollte, packte er mit seinen kantigen, kalten Knochenhänden meinen Arm. «So many asses«, flüsterte er, «so many eyes!» Seine Stimme war tief, dunkel, bedrohlich. Anders als beim Gesinge, anders als im Bikini. Das war kein Teil des Liedes. Aber was diese Botschaft bedeutete, erschloss sich mir natürlich nicht. Zumindest nicht im Traum und auch nicht gleich nach dem Aufstehen. Da hatte ich sowieso Anderes zu tun: Mir war speiübel und ich verbrachte die ersten Minuten mit dem Kopf über der Toilettenschüssel. Es war wieder einer dieser Morgen. In letzter Zeit übergebe ich mich unangenehm oft.

Gerade eben fiel mir das Ticket meines Inlandfluges nach Gulfport, Mississippi in die Hände. Jetzt ist mir natürlich klar, worum es geht. Keine Ärsche, keine Augen. Nein, es geht um meinen Geheimauftrag am Keesler in Biloxi. Den ganzen April und bis Mitte Mai werde ich dort sein. Oder besser: sollte ich dort sein. Natürlich würde es wieder alles durcheinander bringen, wenn ich da nicht hin ginge. Aber das abzusagen, ist ein tieferer Schnitt in mein Leben als verpasste Badeferien. Egal ob ich absage oder einfach nicht gehe, meinen Job bin ich in beiden Fällen los. Sollte ich absagen, werde ich mich erklären müssen. Die Wahrheit kann ich nicht sagen und jede Lüge wäre nicht Grund genug oder zu einfach überprüfbar.

Gut, ich hatte auch einen Besuch bei meiner Schwester in Smithville geplant. Ihr kann ich aber Problemlos absagen. Oder sollte ich sie warnen? Wovor? Vor einem Tsunami?? Vor einem Terror-Anschlag???

Der Tod hat mich schon vor dem Attentat 2001 und dem Tsunami 2004 bewahrt. Wie könnte ich ihm da jetzt nicht vertrauen? Was ist wichtiger? Mein Job? Was bringt mir ein Job, wenn ich tot bin? Aber was könnte mir in Mississippi schon passieren? Und warum bin ich mir eigentlich so sicher, dass ich den 11. September und den 26. Dezember wirklich nicht überlebt hätte?


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